14. Juli 2023

Wer Bioökonomie einführen will, muss Menschen mitnehmen Wer Bioökonomie einführen will, muss Menschen mitnehmen

Auch grüne Industrien kämpfen mit dem „Sankt-Florians-Prinzip“

Um globale Herausforderungen wie den Klimawandel, die wachsende Weltbevölkerung und den Verlust von Ökosystemen zu bewältigen, sind innovative Wege der Produktion gefragt. In diesem Zusammenhang sind Strategien für eine nachhaltige Bioökonomie, die verstärkt auf den Einsatz regenerativer Rohstoffe setzen, in Europa und auch weltweit auf der politischen Agenda. Bei der Umsetzung solcher Strategien ist es wichtig, die betroffene Bevölkerung „mitzunehmen“. Das ist Ergebnis einer Studie, die jetzt drei Forscherinnen vom Institut für Lebensmittel- und Ressourcenökonomik der Universität Bonn im Fachjournal Technology in Science veröffentlicht haben.

Drei Forscherinnen (v.l.): Prof. Dr. Monika Hartmann, Janine Macht und Jeanette Klink-Lehmann
Drei Forscherinnen (v.l.): Prof. Dr. Monika Hartmann, Janine Macht und Jeanette Klink-Lehmann © Volker Lannert/Uni Bonn
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In ihrer Studie „Vergessen Sie die Menschen vor Ort nicht: Erkenntnisse zur Akzeptanz der Bürger für biobasierte Technologien“ haben die drei Bonner Forscherinnen untersucht, wie hoch die Akzeptanz der Bevölkerung für zwei bio-basierte Technologien, Bioraffinerien und Aquaponik-Anlagen, ist, und welche Faktoren diese Akzeptanz beeinflussen. Es ging darum herauszufinden, wie die Menschen diese Technologien im Allgemeinen beurteilen und wie sich das Urteil ändert, wenn entsprechende Technologien in der „Nachbarschaft“ angesiedelt werden. Auch wurde untersucht, inwiefern es für die Akzeptanz dieser Technologien einen Unterschied macht, ob Menschen aus einer Region kommen, die wie das Rheinische Revier vom Strukturwandel betroffen ist, oder nicht.

Grüne Alternativen zum Verbrauch fossiler Rohstoffe

Aquaponik ist ein Verfahren, das die Aufzucht von Wassertieren wie Fischen, Krebsen oder Garnelen in einem Becken („Aquakultur“) mit der Kultivierung von Nutzpflanzen wie Tomaten oder Kräuter im Wasser („Hydroponik“) verbindet. Wichtig sind dabei Bakterien, die das von den Fischen ausgeschiedene Ammoniak in Nitrate umwandeln können, die den Pflanzen wiederum als Nährstoff dienen. Exkremente aus der Fischzucht werden so zu Dünger für Pflanzen – es entsteht ein Kreislauf. Eine Bioraffinerie ist eine Anlage, in der Biomasse möglichst vollständig zu verschiedenen Produkten wie Chemikalien, Werkstoffen oder (Bio-) Energie verarbeitet wird. Das Prinzip ist mit einer Erdölraffinerie vergleichbar, die Erdöl in seine einzelnen Bestandteile aufteilt und diese so nutzbar macht.

Fast 2.000 Menschen nahmen für die Studie an einer Online-Umfrage teil, darunter kam die Hälfte, aus dem Rheinischen Revier, eines der größten Braunkohlegebiete Europas, das derzeit im Zuge des Kohleausstiegs mit Fördermitteln der Bundesregierung zu einer Modellregion für Bioökonomie und nachhaltiges Wirtschaften umgebaut wird. Hier sind Bonner Forschende seit geraumer Zeit in verschiedenen Forschungsverbünden aktiv, die diesen Wandel begleiten.

Sankt-Florians-Prinzip

Verglichen wurden die Antworten der Menschen zur Akzeptanz der Etablierung entsprechender Technologien im allgemeinen in Deutschland und im nächsten Industriegebiet. Dabei zeigte sich schnell, dass das „Sankt-Florians-Prinzip“ auch für Biotechnologien gilt: Viele Menschen sind zwar grundsätzlich offen für „grüne“ Industrie, möchten sie aber weniger gern in der eigenen Nachbarschaft haben. Entgegen den Erwartungen der Forscherinnen war die Akzeptanz beider Technologien in der Nachbarschaft dabei geringer im Rheinischen Revier im Vergleich zum restlichen NRW. Dieses Ergebnis könnte dadurch erklärt werden, dass die durch jahrzehntelangen Braunkohlabbau geprägte Bevölkerung im Rheinischen Revier sensibler auf neue Entwicklungen reagiert und der anstehende Strukturwandel hin zu einer Bioökonomie greifbarer für die Bevölkerung im Rheinischen Revier ist, wo bereits konkrete Pläne für eine Modellregion vorliegen.

Ob Menschen neue Technologien, über die sie wenig wissen – wie das bei Bioraffinerien und Aquaponik-Anlagen der Fall ist –, akzeptieren, hängt vor allem davon ab, welche Gefühle sie mit diesen Technologien verbinden und welche Emotionen ausgelöst werden, fanden die Forscherinnen. Während die Akzeptanz von Aquaponik-Anlagen am stärksten von positiven Gefühlen wie Freude und Hoffnung beeinflusst wurde, spielten bei Bioraffinerien negative Gefühle wie Sorge und Angst eine größere Rolle.

Darüber hinaus ist es entscheidend, wie Vor- und Nachteile wahrgenommen werden, die mit diesen Technologien einhergehen. Hier zeigt sich, dass die Vorteile oft unterschätzt, die Nachteile jedoch überbewertet werden. Doktorandin Janine Macht sagt: „Viele Befragte befürchten, dass Bioraffinerien riesige Anlagen sind, wie man sie von Erdölraffinerien kennt und verbinden diese Anlagen mit Gestank. Tatsächlich können Bioraffinerien aber auch viel kompakter als Großraffinerien sein und die Geruchsemissionen sind dank modernster Filtertechnologien praktisch gleich Null. Aber das muss man eben herausstellen.“

Gleichzeitig, sagt Studienleiterin Prof. Dr. Monika Hartmann, gelte es, die Vorteile der Technologien, wie etwa der Nutzen für die heimische Wirtschaft, Entstehung qualifizierter Arbeitsplätze und Ausweitung der lokalen Lebensmittelversorgung deutlicher herauszustellen.

Die Kommunikation von Vorteilen und Risiken geplanter Technologien sowie eine frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit könnte daher dazu beitragen, negative Emotionen und Risikowahrnehmung abzubauen und mehr Objektivität in kontroverse Debatten bringen.

Prof. Hartmann, Janine Macht und ihre Co-Autorin Jeanette Klink-Lehmann sind Mitglieder des Transdisziplinären Forschungsbereichs (TRA) „Sustainable Futures“, der Forschende aus unterschiedlichen Disziplinen und Fakultäten zusammenbringt, um gemeinsam zur Nachhaltigkeit zu forschen.


Publikation:

Janine Macht, Jeanette Klink-Lehmann, Monika Hartmann: Don't forget the locals: Understanding citizens' acceptance of bio-based technologies. DOI

Pressemitteilung der Uni Bonn:

www.uni-bonn.de | 14.07.2023

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